Alfred Künzle, Swiss Finance Chapter

04.08.2023

Interview mit Annika Schröder «Die Zukunft der Versicherungswelt: AI im Fokus»

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Annika Schröder ist seit 2022 Head of Data Solution Management bei Zurich Insurance. Zuvor war sie 7 Jahre bei UBS tätig und leitete dort das AI Center of Excellence, mit dem Auftrag, alle globalen Geschäftsbereiche der Bank bei der Exploration und Implementierung von Machine Learning, Natural Language Processing, Speech Transcription und Computer Vision Lösungen zu unterstützen. In dieser Funktion trieb sie u.a. auch Themen wie AI Governance, Confidential Computing und die AI Technologiestrategie voran.


Smart Finance hat mit Annika Schröder über die Zukunft der Versicherungswelt unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz mit konkreten Use Cases gesprochen. Die notwendige Ethik (Good Governance in AI) und die Verhinderung von Biases liegen ihr besonders am Herzen.



Smart Finance (SF): Frau Schröder, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen. Können Sie uns erzählen, was Sie dazu gebracht hat, in der Finanzindustrie und im Bereich der künstlichen Intelligenz tätig zu sein?


Annika Schröder (AS): Wachstumsthemen haben mich schon immer gereizt. Ich bin begeistert von den Möglichkeiten, die sich mir in der Finanzindustrie bieten. Ich habe das grosse Glück, mich von Wachstumsthema zu Wachstumsthema zu bewegen und dabei smarte Leute kennen zu lernen, die mich zu Höchstleistungen anspornen.


Ich bewundere Personen, die ihre Karriere zielgenau planen, ich funktioniere aber anders, eher zufällig und gelegenheitsorientiert. Ursprünglich wollte ich nämlich Sprachen studieren, habe mich aber letztendlich für Betriebswirtschaft mit einem mehrsprachigen Fokus entschieden. Nach dem Studium arbeitete ich einige Jahre im Investmentbanking.


Weil ich die Finanzindustrie besser verstehen wollte, wechselte ich zunächst in den Bereich Wertpapierabwicklung einer Grossbank in Deutschland. Am ersten Tag wurde mir eröffnet, dass es meine Stelle so gar nicht mehr gäbe, es aber Platz bei Innovation und Strategie hätte. So setzte sich meine Karriere an der Nahtstelle von Finanzen und Technologie fort. Dabei kam ich zum ersten Mal mit Automation und Blockchain in Berührung und begann, mich damit auseinanderzusetzen. 2015 zog ich in die Schweiz und schloss mich dem neu gegründeten Group Innovation Team bei der UBS an. Dort gab es bereits ein Blockchain-Labor. Da etwas Vergleichbares im Bereich AI noch fehlte, bekam ich früh die Aufgabe, hierfür ein Innovationsprogramm aufzubauen. Seitdem habe ich mich stetig weiterentwickelt und führe nun ein Team bei der Versicherungsgesellschaft Zurich Insurance Group, die viel in Innovation investiert, um noch besser auf die sich wandelnden Kundenbedürfnisse reagieren zu können – dazu gehören natürlich auch neue Technologien wie künstliche Intelligenz.

Bild von Geschäftsleuten beim Planen

«Für mich ist AI kein rein technisches Thema, sondern ein Führungsthema. Es erfordert Brückenbauer, die sowohl kommerziell als auch ethisch verantwortungsbewusst handeln.»

SF: Wie sieht Ihre Vision für die Zukunft aus und wie können AI und Datenlösungen die Versicherungswelt verändern?


AS: Meine Vision ist es, die besten Datenlösungen für Versicherungen zu schaffen. Durch den Einsatz von AI- und Datenlösungen können wir die Versicherungswelt optimieren, indem wir bessere, individuell auf Kunden abgestimmte Produkte anbieten können. Regulatorische Anforderungen können wir schneller und kostengünstiger erfüllen, und es eröffnen sich neue Geschäftsmodelle, beispielsweise automatisierte Kundenberatung, wo bisher das Potential noch nicht wirklich gehoben werden konnte. Hier entstehen riesige Marktchancen.


Gleichzeitig ist es wichtig, dass die Menschen in der neuen Versicherungswelt weiterhin eine bedeutende Rolle spielen. Die Versicherungsnehmer: innen und die Mitarbeitenden werden in der Beratung und Betreuung weiterhin gebraucht. Die Rolle von AI besteht darin, den Menschen bei der Entscheidungsfindung und der Optimierung von Prozessen zu unterstützen.


SF: Wie gross ist Ihr Team und wie arbeiten Sie gemeinsam an Ihrer Vision?


AS: Mein Team umfasst etwa 60 Personen, während das Team im Data Office insgesamt ca. 250 Mitarbeitende umfasst. Wir streben danach, die richtigen Lösungen zur richtigen Zeit anzubieten und diese möglichst wiederverwendbar zu machen.


In der Versicherungsbranche wie auch bei Banken geht es darum, zukünftige Risiken möglichst genau vorauszusagen. Dafür erschaffen wir Modelle, die mit einer abschätzbaren Wahrscheinlichkeit Prognosen erstellen. Unser Ziel ist es, für alle für die Wertschöpfungskette relevanten Daten – seien es zu Risiken, IT-Systemen oder  Finanzen besser zu verstehen und daraus verbesserte Vorhersagen zu gewinnen.


Wir vernetzen Dinge, die bisher nicht miteinander verbunden waren. Wir schaffen grosse Datenpools, deren Qualität wir ständig prüfen und im Auftrag unserer internen Abteilungen helfen mittels Machine Learning die Muster darin zu sehen. Bei künstlicher Intelligenz geht es um Statistik und Wahrscheinlichkeiten – das passt bestens mit der Finanzindustrie zusammen.


Bild zur Visualisierung von AI

SF: Ihre Begeisterung für das Thema “Künstliche Intelligenz" in der Finanzindustrie ist deutlich spürbar. Was motiviert Sie persönlich in Bezug auf AI?


AS: Für mich ist AI kein rein technisches Thema, sondern ein Führungsthema. Es erfordert Brückenbauer, die sowohl kommerziell als auch ethisch verantwortungsbewusst handeln. Ich sehe es als meine Aufgabe, die Potenziale und Grenzen von AI aufzuzeigen, Menschen für Innovation zu begeistern und ihnen verstehen zu helfen, dass die Technologie kein Allheilmittel ist. AI ist da, um uns Menschen zu unterstützen, aber wir müssen auch verstehen, wie sicher und zuverlässig die Ergebnisse sind.

«Die Möglichkeiten und Entwicklungen in der AI sind vielfältig, aber nicht immer einfach abzuschätzen. Es ist wichtig zu verstehen, dass AI keine Allzwecklösung ist und immer im Kontext eines spezifischen Geschäftsprozesses betrachtet werden muss.»

SF: Wie ordnen Sie AI ein und wie schätzen Sie die Möglichkeiten und Entwicklungen in diesem Bereich ein?


AS: Die Möglichkeiten und Entwicklungen der AI sind vielfältig, aber nicht immer einfach abzuschätzen. Es gibt derzeit einen grossen Hype um ChatGPT und ähnliche Technologien. Es gab bereits mehrere Phasen, in denen die AI-Entwicklung aufgrund von Rückschlägen stagnierte. Es ist wichtig zu verstehen, dass AI keine Allzwecklösung ist und immer im Kontext eines spezifischen Geschäftsprozesses betrachtet werden muss. Das Wichtigste ist, dass der Kunde im Mittelpunkt stehen muss – Technologie dient immer nur als Mittel zum Zweck, bessere Produkte und Dienstleistungen für unsere Kunden zu ermöglichen.


Es gibt bestimmte Dinge, die Maschinen gut können, und andere, die sie nicht gut beherrschen. Meine Aufgabe ist es, meinen Kollegen in den Geschäftseinheiten zu helfen, die Möglichkeiten und Grenzen von AI zu verstehen und die richtigen Voraussetzungen für ihren erfolgreichen Einsatz zu schaffen. Dabei spielen Fairness, Transparenz und verlässliche Ergebnisse eine entscheidende Rolle. Es geht darum aufzuzeigen, dass Technologie kein Wunderwerk ist, sondern eine Erweiterung von statistischen Methoden.


SF: Was unternehmen Sie und Ihr Team, um sicherzustellen, dass AI-Anwendungen fair und transparent sind?


AS: Wir setzen verschiedene Massnahmen ein, um die Fairness und Transparenz von AI-Anwendungen sicherzustellen. Wir haben beispielsweise die Möglichkeit, ein GPT-Modell in einer von uns konotrollierten Umgebung zu nutzen und anzupassen, um einen ausgewogenen Trade-off zwischen nützlichen Ergebnissen und Qualität zu erreichen.


Zudem implementieren wir eine AI-Governance im Unternehmen, um Prozesse und Frameworks zu etablieren, die sicherstellen, dass alle AI-Anwendungen inventarisiert und bewertet werden. Wir prüfen die Daten, die wir verwenden, um sicherzustellen, dass sie statistisch repräsentativ für das Vorhersageproblem sind und keine Biases enthalten.


Bei der Umsetzung von AI ist auch die Zusammenarbeit mit externen Partnern und Drittanbietern wichtig, um ein hohes Mass an Qualität, Effizienz und adäquater Kontrolle zu gewährleisten. Bei Zurich haben wir unseren Kunden ein starkes Datenversprechen abgegeben. Zudem setzen wir uns aktiv dafür ein, die Fairness und Transparenz von AI-Anwendungen zu gewährleisten.


SF: Als Frau in der Finanzindustrie und insbesondere in der Technologiebranche haben Sie vielleicht auch mit Vorurteilen und Ungleichheiten zu kämpfen gehabt. Wie sehen Sie die Rolle von Frauen in der AI-Branche?


AS: Ja, es stimmt, dass Frauen in der Technologiebranche und in der AI unterrepräsentiert sind. Ich finde es wichtig, dass Frauen stärker in diesen Bereichen vertreten sind, um eine Vielfalt an Perspektiven und Erfahrungen zu gewährleisten. In unserem Data Science Team streben wir eine diverse Zusammensetzung an, um ein höheres Bewusstsein für Themen wie Fairness und Transparenz zu schaffen – Diversität bezieht sich für mich hier auch auf Mitarbeitende mit unterschiedlichen Hintergründen und Erfahrungen. Bei der Anwendung von AI ist es nämlich entscheidend, die Use Cases und den Kontext genau zu betrachten, und das aus allen möglichen Perspektiven. Dies hilft, bewusste Entscheidungen zu treffen, um mögliche Biases zu vermeiden.  Grosse Unternehmen investieren oft auch in Schulungen und Trainings für ihre Mitarbeitenden, um ihr Verständnis von AI zu verbessern und diejenigen, die die Maschinen »trainieren», zu qualifizieren – so auch die Zurich.


SM: Frau Schröder, eines Ihrer Mottos lautet "Problems first, solutions second". Welche aktuellen Probleme beschäftigen Sie derzeit? Welche Use Cases haben Sie im Fokus, und was könnte die Lösung sein?


AS: Derzeit arbeiten wir an verschiedenen Use Cases, die sich mit der Vorhersage von Risiken und der damit verbundenen Gestaltung von Produkten befassen. Maschinelles Lernen kann dazu beitragen, komplexe, hochindividualisierte Produkte und Zusammenhänge den Kunden verständlicher zu erklären.


Andere Use Cases beschäftigen sich mit der Vorhersage von Szenarien, wie zum Beispiel dem Wert einer Vertragsbeziehung oder der Häufigkeit und den Kosten von Naturkatastrophen. Im Middle- und Backoffice wollen wir Vorhersagen treffen, um Prozesse zu optimieren.


«Unser Ansatz ist es, immer die spezifischen Anforderungen jedes Use Cases zu berücksichtigen und massgeschneiderte Lösungen zu entwickeln, um das volle Potenzial der Daten auszuschöpfen.»

Ein besonders wichtiges Thema ist die Compliance und die Bekämpfung von Geldwäsche. Hier setzen Finanzdienstleister bereits teilautomatisierte Systeme für das Transaction Monitoring ein, um “true” und “false” positive Transaktionen zu identifizieren. Dabei versuchen sie, die richtige Balance zwischen manueller und computerisierter Bearbeitung zu finden, um effizient und präzise zu arbeiten.


Ein weiteres spannendes Feld finde ich persönlich die Sentiment-Analyse, bei der die Stimmungen und Schlagworte in Finanzmedien, Analysten-Calls und Geschäftsberichten ausgewertet werden können, um die zukünftige Entwicklung von Finanzinstrumenten abzuschätzen. Hedge-Fonds nutzen bereits ähnliche Techniken auf einem hohen Niveau, aber ich sehe noch grosses Potential für andere Finanzdienstleister in diesem Bereich als Ergänzung zu gängigen Methoden zur Bewertung von Finanzinstrumenten.


SF: Das klingt nach einer beeindruckenden Bandbreite an Herausforderungen und Möglichkeiten. Wie gehen Sie konkret vor, um diese Use Cases zu bewältigen und die Lösungen zu entwickeln?


AS: Für jeden der Use Cases gehen wir systematisch vor. Zuerst bauen wir eine solide Datenbasis auf, indem wir Daten in einem Data Lake oder Vergleichbarem sammeln, katalogisieren und qualitätsgesichert speichern. Qualitativ hochwertige, umfassende und sortierte Daten sind eine erforderliche Basis, worauf wir AI-Algorithmen aufsetzen. Wenn die Daten nicht stimmen, kommt die AI zu unbrauchbaren Ergebnissen. So gesehen ist AI und der Algorithmus nur die Spitze des Eisbergs – der Hauptaufwand entsteht in der Vorbereitung der Daten, von denen der Algorithmus lernt, und der Planung sowie Integration solcher Anwendungen.


Im Fall der Risikovorhersage und der Preisgestaltung von Produkten können massgeschneiderte Algorithmen uns helfen, Muster und Zusammenhänge in den Daten zu erkennen. Dabei können sowohl Methoden des maschinellen Lernens als auch statistische Modelle nützlich sein.


Bei der Sentiment-Analyse nutzen wir Techniken der Sprachverarbeitung, um die Tendenzen und Emotionen in Texten zu verstehen. Dafür könnten auch die sogenannten «Large Language Models» eingesetzt werden, um zusätzliche Erkenntnisse und Zusammenhänge zu identifizieren.


Unser Ansatz ist es, immer die spezifischen Anforderungen jedes Use Case zu berücksichtigen und massgeschneiderte Lösungen zu entwickeln, um das volle Potenzial der Daten auszuschöpfen.


Bild von Chat GPT

SF: Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Wie erholen Sie sich von der Arbeit mit AI? Haben Sie Hobbys und nutzen Sie privat AI-Anwendungen? Gibt es eine AI-App, die Ihnen besonders gefällt?


AS: In meiner Freizeit entspanne ich mich gerne beim Rennradfahren und geniesse die Natur, sowohl im Sommer als auch im Winter in den Bergen. Ausserdem vertiefe ich im Moment meine Kenntnisse in der Programmiersprache “Python” und lese gerne. Reisen ist meine grosse Leidenschaft, und Hawaii ist eines meiner Lieblingsziele. Es ist vielleicht kein Zufall, dass “AI” in Hawaii vorkommt.


Was AI-Anwendungen betrifft, finde ich ChatGPT faszinierend. Es ist beeindruckend, wie gut es in der Lage ist, natürliche Sprache zu verstehen und menschenähnliche Antworten zu generieren. Ich nutze ChatGPT bisher privat, geschäftlich gibt es eine Enterprise-Variante, um Firmendaten zu schützen.


SF: Vielen Dank, Frau Schröder, für dieses aufschlussreiche Interview und Ihre Einblicke in die spannende Welt der AI in der Finanzindustrie. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Vision, die innovativsten Datenlösungen für Versicherungen zu schaffen.


AS: Vielen Dank, es war mir eine Freude.


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